Menschen mit Beeinträchtigung in die Gesellschaft zu integrieren bedeutet auch, ihnen einen Job zu geben.

Katina Radler ist Geschäftsführerin der Gemeinnützigen Job Leipzig GmbH. Im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit steht aktuell das Hotel Markkleeberger Hof, das im Januar 2021 von der IFB-Stiftung (Inklusion durch Förderung und Betreuung) übernommen wurde und Schritt für Schritt in ein Inklusionsbetrieb überführt werden soll. Welche besonderen Herausforderungen es mit sich bringt, in einem Hotelbetrieb Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zu schaffen, was sie motiviert und was ihr dabei besonders am Herzen liegt, davon berichtet sie im nachfolgenden Interview.

INTERVIEW

Interviewführende: Ann Stürzebecher (AS), IFB-Stiftung

Interviewpartnerin: Katina Radler (KR), Geschäftsführerin Gem. Job Leipzig GmbH

 

AS: Frau Radler, die IFB-Stiftung hat Anfang des Jahres das Hotel Markkleeberger Hof übernommen. Welche Rolle spielt die Job Leipzig gGmbH dabei?

KR: Die Job Leipzig spielt mit der Übernahme eine zentrale Rolle, denn unser Anliegen ist es, Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zu schaffen. In diesem Fall für den Hotelbetrieb. Dafür bauen wir uns nach und nach verschiedene Standbeine auf. Begonnen haben wir am 1. September mit unserer „Hofküche“. Hier wird das Frühstück für die Hotelgäste zubereitet und das Kindercatering gekocht. Beliefert werden die IFB-eigenen KÄNGURU-Kitas in Leipzig mit regionaler und saisonaler Kost. Außerdem wird alles, was im Haus stattfindet, wie Festivitäten oder Seminare, mit Essen versorgt. Parallel dazu haben wir ein zweites Standbein aufgebaut. Das Housekeeping, was früher Fremdleistung gewesen ist. Das sind die Bereiche, die aktuell inklusiv sind.

 

AS: Wie genau findet sich Inklusion im Hotel wieder?

KR: Zum einen arbeiten hier Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Im Housekeeping findet das zum Beispiel in Form von Tandem-Teams statt. Zum anderen können unsere Gäste die volle Barrierefreiheit genießen. Vier von 60 Zimmern sind bereits umgebaut. Einige haben sogar ein angrenzendes Zimmer für unsere Hotelgäste, die mit Assistenz anreisen.

 

AS: Erzählen Sie uns mehr vom Tandem-Team-Konzept.

KR: Wir haben drei Etagen. Pro Etage einen Reinigungswagen mit einem Team. Dabei kommt es nicht immer darauf an, dass die beiden Personen zeitgleich ein Zimmer reinigen, sondern dass der*die Mitarbeiter*in mit Behinderung jeder Zeit Fragen an seinen Tandem stellen kann. Oft ist die Lernfähigkeit nur zum Teil da, deswegen müssen Abläufe immer wieder neu erklärt werden. Wichtig ist ein sicheres Arbeitsumfeld. In diesem Fall ist das eine zweite Person, die ständig Rückmeldungen gibt.

 

AS: Welche Erfahrungen haben Sie in der Zusammenarbeit von Menschen mit und ohne Behinderung gemacht? Welche besonderen Herausforderungen sind damit verbunden?

KR: Ich glaube, dass man Inklusion zu oft von der Seite des*der Beeinträchtigten sieht. Mir ist es sehr wichtig, den Fokus auch auf die Beschäftigten ohne Beeinträchtigung zu legen. Alle haben in ihrem Arbeitsverhältnis bei uns die gleichen Rechten und Pflichten. Einige unserer Mitarbeiter*innen arbeiten seit mehr als zehn Jahren für das Hotel. Inklusion war da nie ein Thema und plötzlich müssen sie sich auf völlig neue Situationen einstellen. Mitarbeiter*innen ohne Behinderung müssen genauso mitgenommen und angeleitet werden. So ein Team wächst nicht einfach zusammen. Durch Missverständnisse können Schwierigkeiten entstehen. Sowas kann man nicht in einem Seminar erlernen, denn jede Behinderung und jede Persönlichkeit ist individuell und bedarf eines anderen Umgangs. Inklusion bedeutet auch, dass man unabhängig von einer Behinderung offen miteinander umgeht und klar kommuniziert, dass man nicht zusammen arbeiten möchte. Ein Inklusionsunternehmen ist also jeden Tag eine riesige Herausforderung. Es ist ein viel höherer Verwaltungsaufwand, ein viel höherer Bedarf an Gesprächen. Es geht nicht nur darum, eine Dienstleistung abzubilden, sondern um ein tägliches Aufeinander abstimmen.

 

AS: Wie schätzen Sie ein, wer für welchen Arbeitsbereich geeignet ist?

KR: Die Mitarbeiter*innen schätzen das selber so gut es geht ein. Unser Motto lautet „durch fordern, fördern“. Das ist das, was die IFB grundsätzlich auch ausmacht. Dabei muss man immer im Auge behalten, dass man niemanden überfordert und Grenzen überschreitet. Wir schauen zunächst, wieviel der- oder diejenige in dem neuen Arbeitsbereich tatsächlich schafft. In der Regel arbeiten Menschen mit Behinderung nicht den üblichen Wochenstundenumfang.

 

AS: Wie sind die weiteren Pläne für das Hotel?

KR: Das Hotel Markkleeberger Hof soll Ende des Jahres ein Inklusionsbetrieb sein. Aktuell arbeiten bei uns drei Menschen mit Behinderung. Wir wollen weitere Arbeitsplätze in den Bereichen Hausmeisterdienst, Service, Rezeption und Verwaltung schaffen. Ziel ist es, sowohl für die Gäste als auch für die Mitarbeiter*innen barrierefrei zu sein und Inklusion zu leben.

 

AS: Warum ist es für Sie wichtig, sich für Inklusion auf dem Arbeitsmarkt einzusetzen? 

KR: Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft zu integrieren bedeutet auch, ihnen einen Job zu geben. Das ist eine sehr sinnstiftende Aufgabe. Der Bereich im Leben, in dem man arbeitet, ist die größte Zeitspanne. Man verdient sein eigenes Geld und gestaltet das Leben so, wie man es sich vorstellt. Dazu sollte jede*r die Möglichkeit haben. Es zeigen sich Potenziale, die ohne die Schaffung eines Arbeitsplatzes vermutlich nie ans Licht gekommen wären. Erfolge, eine Tagesstruktur, Aufgaben oder sich zugehörig fühlen - all das führt zur Motivation und zu einem ganz neuen Lebensgefühl. Das ist Gleichberechtigung! Ich freue mich, dass ich meinen Teil dazu beitragen kann, in dem ich gewisse Dinge anschiebe. Den Rest machen sie selber.

 

AS: Was wünschen Sie sich für die Zukunft zum Thema Inklusion?

KR: In der Gesellschaft kommen immer wieder gewisse Themen hoch, die sich gut anhören, die aber von der Praxis weit entfernt sind. Da sind wir innerhalb der IFB schon ganz gut aufgestellt, weil wir es leben. Man muss nah dran sein, um zu sehen, was tatsächlich benötigt wird, um Inklusion voran zu treiben. Wie gesagt hatten viele Mitarbeiter*innen im Hotel bisher beruflich nicht viel mit Menschen mit Behinderung zu tun. Plötzlich gibt es ein Umdenken. Wir erleben im Kleinen, was ich mir für das große Ganze wünsche. Die Unterscheidung zwischen „behindert“ und „normal“ soll es nicht mehr geben. Inklusion heißt, dass man darüber eigentlich gar nicht sprechen muss.

 

AS: Das sind sehr passende Abschlussworte. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Radler. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihr Vorhaben. 

KR: Ich danke auch.

 

HINTERGRUNDINFORMATIONEN

IFB-Stiftung (Inklusion durch Förderung und Betreuung)

Seit über 60 Jahren stehen Menschen mit und ohne Behinderungen bei uns im Mittelpunkt. Ihre individuellen Bedürfnisse und Wünsche bilden den zentralen Kernpunkt unserer Inklusionsarbeit. Es liegt uns am Herzen, dass sie so selbstbestimmt wie möglich entscheiden und leben können. Dank der Angebote unserer fünf Fachbereiche (KÄNGURU, ZUHAUSE, JOB, LÖWENMUT, EHRENAMT) leben, lachen, arbeiten und lernen Menschen mit und ohne Behinderungen gleichzeitig miteinander, in jeder Lebensphase, in jedem Alter - ein Leben lang.